Sonntag, 18. September 2011

SWR 2 Radiointerview vom 13.07.2011 zum neuen Buch




Interview vom 13.07.2011

Natalie Knapp:

„Die meisten Leute ahnen nicht, wie viel besser es Ihnen gehen würde, wenn sie hin und wieder einmal sehr gründlich nachdenken würden.“, meint die Aachener Philosophin Heidemarie Bennent-Vahle. Ihr Buch mit dem Titel „Glück kommt von Denken: Die Kunst, das eigene Leben in die Hand zu nehmen“, ist soeben im Freiburger Herder Verlag erschienen. Darin zeigt die philosophische Praktikerin, wie das Nachdenken dabei helfen kann, sich im Chaos des modernen Lebens besser zurechtzufinden.

 Jeden Abend hat sich der antike Philosoph Seneca hingesetzt, um alle seine Taten und Worte noch einmal durchzugehen. Nicht um seine Fehler zu bereuen, sondern um sein Leben zu verbessern, gleich am nächsten Tag! An diese Tradition knüpft Heidemarie Bennent-Vahle an. Sie zeigt, wie man durch Nachdenken von seiner eigenen Geschichte lernen und mit sich selbst in Einklang kommen kann.


Bennent-Vahle:
Dann ist die moderne Lebenswirklichkeit ja auf jeden Fall so, dass sie uns viel weniger als früher eindeutige Normen, fraglose Rollenbilder, Lebenswege zur Verfügung stellt, d.h. wir sind sozu-sagen dazu gezwungen uns unseren eigenen Weg zu bahnen und da ist es natürlich ganz wichtig über das Nachdenken so was wie einen persönlichen Stil oder ein persönliches Empfinden von Richtigkeit zu entwickeln.


Natalie Knapp:

Oft dienen ihre eigenen Lebenserfahrungen als Einstieg für die philosophische Reflexion. Da ist z.B. die Erinnerung an die eigenwillige Tante Clara, die in ihren letzten Lebensjahren ihre Woh-nung nicht mehr verlassen hat. Nicht etwa weil sie unglücklich war, sondern weil sie ihr Glück bewahren wollte. Zu schnell wechselten ihr die Moden und sie hatte keine Lust mehr, sich der Geschwindigkeit der Moderne anzupassen. An dieser kleinen Geschichte erläutert Bennent-Vahle die Schwierigkeiten des Alterns in einer modernen Gesellschaft: Mit Witz, Wärme und großer Klarheit. Ergänzt wird ihre Analyse durch wesentliche Einsichten aus der Geschichte der Philo-sophie.


Bennent-Vahle:

Das besondere an der philosophischen Reflexion ist, dass wir nachdenken ohne uns immer gleich unmittelbar auf unsere persönlichen Probleme hin zu orientieren, d.h. wir betreiben dann nicht eine auf unser Ich konzentrierte Nabelschau, sondern lassen den Blick weiter schweifen über unseren Tellerrand hinaus und beziehen vieles ein, was ganz maßgeblich ist für unseren eigenen lebendigen Weltbezug und der ist nach meinem Ermessen die Voraussetzung dafür, dass wir uns glücklicher fühlen.


Natalie Knapp:

Vom Glück, so Bennent-Vahle, fühlen wir uns nur dann durchdrungen, wenn wir uns mit unserem Leben einverstanden erklären können. Und sie erläutert, wie unsere persönlichen Lebensgeschichten in historische und soziologische Entwicklungen eingebettet sind. Kein wichtiges Lebensthema wird dabei ausgelassen: Sei es Liebe oder Gerechtigkeit, Sex oder Einsamkeit, Sport, Erziehung oder Willensfreiheit. Die Philosophin hilft, unsere Geistesgeschichte zu verstehen und das eigene Leben dazu in Beziehung zu setzen.

Das kann zuweilen entlastend sein. Z. B. wenn sie erklärt, wie das eigene Wohnzimmer manchmal ganz unbemerkt zum Austragungsort von gesellschaftlichen Geschlechterkämpfen wird. Oder wenn sie erläutert, warum es in der heutigen Zeit fast unmöglich ist, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen:

„Was diese Gesellschaft eigentlich fordert“, so Bennent-Vahle, „ist das allseits verfügbare, freischwebende, bindungslose und nicht familienbehinderte Marktsubjekt.“

Die Philosophin argumentiert mit Sachverstand, Herzblut und Leidenschaft und bietet jede Menge Anregungen für eine eigene Auseinandersetzung - für Zustimmung und Widerspruch. Dabei bleibt sie immer allgemeinverständlich, ganz nach dem Motto des Philosophen Hans Blumen-berg: „Philosophie ist, worauf man beinahe von selbst gekommen ist.“


Bennent-Vahle:

Selbst wenn man nicht zu eindeutigen Ergebnissen und rüttelfesten Wahrheiten dabei gelangt, ist meine Erfahrung, dass das philosophische Nachdenken so zentral für unser Menschsein ist, dass es ungeheuer vitalisierend wirkt. So wie Hannah Arendt gesagt hat: Das Denken gehört zum Leben wie das Atmen.


 Abmoderation:

 „Glück kommt von Denken: Die Kunst, das eigene Leben in die Hand zu nehmen.“ Ist im Herder Verlag erschienen und kostet 19, 95 Euro.