Ein Gespräch mit Heidemarie Bennent-Vahle, Thomas Gutknecht, Michael Niehaus und Thomas Stölzel
Wie sieht sich die Philosophische Praxis selbst, als Weisheit, Wissenschaft, Therapie oder als Beratung?
Thomas Gutknecht: Wir haben eine Sprachregelung gefunden, wonach Philosophische Praxis „keine Therapie, sondern die Alternative zur Therapie“ ist. Von der Tradition her ist gesehen ist die Philosophische Praxis eher Kunst als Wissenschaft. Man kann das mit der Medizin vergleichen, mit dem praktizierenden Arzt, der zum einen einen wissenschaftlichen Hintergrund hat, der aber seine Tätigkeit in Bezug auf Personen ausübt. In diesem Sinne hat es Philosophische Praxis mehr mit Klugheit und Weisheit zu tun als mit Wissenschaft.
Gibt es gegen diese Einschätzung Widerspruch?
Thomas Stölzel: Formeln sind immer problematisch. Ich glaube zwar auch nicht, dass Philosophische Praxis Therapie ist, aber der Begriff Therapie ist ein sehr weiter und geht in verschiedenste Bereiche hinein. Philosophische Praxis kann sehr wohl eine gute therapeutische Wirkung haben, aber sie ist keine indizierte Therapie und arbeitet nicht mit dem Problemlösungsverständnis, wie es vielen Therapien zugrunde liegt. Philosophische Praxis ereignet sich im Dialog, gewissermaßen auf existentieller Augenhöhe, auf der Ebene der Ebenbürtigkeit. Hier hat sie nach meinem Verständnis am meisten mit dem Coaching gemein.
Heidemarie Bennent-Vahle: Man müsste sich die Frage stellen, ob nicht vieles von dem, was heute pathologisiert wird, so gesehen wird, weil der Fokus zu sehr auf das Einzelsubjekt verengt ist und damit der Einzelne zum Austragungsort gesellschaftlicher Problemlagen wird. Die Philosophische Praxis hat deshalb auch einen anderen Blick auf die Probleme des Einzelnen als die Therapie. Sie spannt den Bogen weiter, indem sie nicht nur das Einzelindividuum mit seinen persönlichen Problemen in den Blick rückt, sondern das Ganze unter einem Zeitgeistaspekt und einem gesellschaftlichen Aspekt betrachtet. Damit verändert sich auch die Gesamtbeurteilung: die Philosophische Praxis hat eine ganze andere Wahrnehmung.
Michael Niehaus: Ich möchte noch eine andere Unterscheidung einführen, die zwischen Profession und Lebensform bzw. -kunst. Von hier aus kommt man zur Unterscheidung zwischen der Form von Praxis, die jeder Philosoph für sich ausübt und im Sinne einer Lebensform auch lebenspraktisch im Alltag lebt und der Profession im Sinne einer spezifischen Berufstätigkeit. Letzteres können ganz verschiedene Formen sein, etwa Beratung oder Bildungsarbeit. Der entscheidende Punkt ist aber die Frage, ob sich Philosophische Praxis in das eine oder andere, also Profession oder Lebensform einsortieren lässt. Mein Standpunkt liegt dazwischen: Philosophische Praxis bewegt sich immer zwischen den beiden Polen und ist deshalb so schwer zu fassen.
Thomas Gutknecht: Dieses Zwischen ist mir sehr sympathisch. Der Philosoph sitzt gewissermaßen zwischen allen Stühlen.
Und wie steht die Philosophische Praxis zur Weisheit?
Michael Niehaus: Weisheit im Sinne einer Lebensform, als Lebenskönnerschaft und Lebensklugheit.
Heidemarie Bennent-Vahle: Weisheit ist zwar ein schöner Begriff, aber doch etwas hoch gegriffen. Ich werde immer ehrfürchtig, wenn ich ihn höre. Die spezifisch philosophische Lebensform hat viel damit zu tun, dass man im Hinblick auf die Aneignung des eigenen Lebens in einem unabschließbaren Prozess ist. Man hat nicht ein bestimmtes Problem, für das man einen Experten hinzuziehen kann, der einem eine Lösungsstrategie vorschlägt. Die philosophische Lebensform, an die ein Berater einen höchstens heranführen kann, die liegt darin, dass man so etwas wie eine Klärung der eigenen Willenslage vornimmt, um sich sein eigenes Leben auf diese Weise aneignen zu können. Das ist ein unabschließbarer Prozess: Man kommt nicht an einem Punkt an, an dem man sagen könnte, ich habe mich selbst verwirklicht, sondern man bleibt auf dem Weg.
(Fortsetzung, siehe Information Philosophie...